Fun/Pleasure

Textarbeit als künstlerische Praxis ist ein wichtiger Teil in Philipp Stähles Oeuvre. Die Schreibmaschine ist ein unabdingbares Instrument davon. Entstehende Kurztexte vereinen Gedankengänge, Gesprächsfragmente, Beobachtungen und Zitate, die keinem festen Sujet-Schema folgen. Inhaltlich wie stilistisch bewegt sich der Künstler zwischen der Freude und der Skepsis am Intellektuellen, hat einen besonderen Humor, nicht selten an der Grenze zur Tragikomik, und vereint einen poetischen Zugang mit einer inhaltlichen Dichte. Das Geschriebene verfügt über eine Leichtigkeit, die  jedoch sehr gut überlegt ist. Die Wortwahl ist akkurat und genau, die Gedanken sind scharf formuliert.

Die ästhetische Wirkung dieser Arbeiten ist von Bedeutung. Die Schreibmaschine trägt ihren Teil dazu bei, sie bedingt kleine Unregelmäßigkeiten im Textbild, unbeabsichtigte Leerzeichen mitten im Wort, Zeilenverschiebungen, kleine Tippfehler. Das Holprige bricht die Perfektion des Ausdrucks und macht das Werk besonders. Scharf gestochene Worte, aneinander gereihte Aphorismen mit kleinen Schönheitsfehlern erklingen in einem Staccato der Schreibmaschinenanschläge. Beim Lesen kann man das beinahe hören. Das Mosaik der Schriftstücke fügt sich in ein gut funktionierendes System. Texte wirken einzeln für sich, aber auch in ihrer Gesamtheit als Kapitel, deren Reihenfolge variabel ist. Der Künstler selbst bestätigt das und beruft sich auf die sogenannte „Cut-up“-Methode, eine Neuabmischung von Texten und Textfragmenten, eine Praxis, die im Dadaismus ihren Ursprung hatte und eine erfolgreiche Fortsetzung in der Postmoderne bei den Autoren wie William S. Borroughs oder  Julio Cortázar fand.

 

Diesem Prinzip folgt das Mappenwerk. Die Mappe fun/pleasure ist ein Konzeptwerk, bestehend aus acht Texten, einer Wortzeichnung (beides reproduziert als Digitaldruck in limitierter Auflage) und einer Originallithographie. Die ausgewählten Texte haben einen lyrischen Charakter. Das lithographische Blatt folgt der Methode von Stähles Zeichnungen. Das Motiv einer Schneekugel mit Neuschwanstein wird durch den Satz „The greatest show on earth“ untertitelt. Wie bei den meisten Blättern ist die Deutung nur fragmentarisch möglich. Der Spruch ist auf den Finanzjargon zurückzuführen als Bezeichnung der Börse, das romantische Motiv wird durch einen pragmatischen Kontext konterkariert. Weiß man, dass die Arbeit während der Weihnachtszeit im Lockdown entstanden ist, kommen weitere inhaltliche Schichten hinzu: die hermetisch geschlossene, künstliche Idealwelt der Schneekugel, die ständige Wahrnehmung der Außenwelt durch die Glasoberflächen der Bildschirme.

Das Wortspiel fun/pleasure als Mappentitel reflektiert nicht nur die inhaltliche Spanne der darin gesammelten Werke. Die vermeintliche Kontroverse des Wortpaares umschreibt einige der oben beschriebenen Facetten in Philipp Stähles Arbeitsprinzip, und hat zudem eine konkrete Referenz in der Literatur: Ray Bradburys Roman Fahrenheit 451, das vermutlich wichtigste Werk über die Kraft des geschriebenen Wortes, das für das Konzept der Ausstellung, in der die Mappe 2021 erstmals präsentiert wurde, mehrere Anregungen gab. Der Roman beginnt mit den Worten des Feuerwehrmanns Guy Montag: „It was a pleasure to burn“ – und aus der Lust Feuer zu legen entsteht im Laufe der Handlung ein gänzlich anderes Vergnügen am Brennen.